Run-off: Lebensversicherer wollen Kunden loswerden

Der Ruf der klassischen Kapitallebensversicherung ist schlecht – mangelnde Rendite, hohe Kosten und Unflexibilität werfen Kritiker dem Produkt vor. Trotzdem lief der Verkauf derartiger Policen nahezu unverändert weiter, bis es die Branche selbst geschafft hat, dem Ansehen ihres einstmaligen Kassenschlagers zu schädigen. Dazu eine Schlagzeile im Herbst in der Bildzeitung: „Muss ich jetzt um mein Geld zittern?“ Aber wie kam es dazu? Die Generali Deutschland, eine der großen Lebensversicherer kündigte Ende September an, dass sie ihre Kapitallebensversicherungen auf eine externe Gesellschaft übertragen wolle. Bereits kurz vorher vermeldete die Ergo, ein weiteres Schwergewicht dieser Branche, sie suche einen Käufer für ihre Policen. Auch die Axa ließ verlauten, dass sie den im Fachjargon Run-off genannten Schritt ins Auge gefasst hat. Seither berichten sogar Medien, deren Fokus sich im Regelfall auf Geschehnisse in Adelshäusern oder Verfehlungen von Bundesligaspielern richtet, über diese Thematik und tragen damit zur allgemeinen Verunsicherung bei.

Definition Run-off

Eine offizielle Definition für den sogenannten Run-off gibt es nicht. In der Branche versteht man darunter die Abwicklung eines Teil- oder des Gesamtbestandes einer Versicherungsgesellschaft. Dieser Vorgang kann sowohl intern, als auch durch Übertragung auf einen Dritten erfolgen. Das Neugeschäft wird hierbei komplett eingestellt und man ist bestrebt den Gesamtbestand an Verträgen zu verringern. Ein Run-off ist an und für sich keine ungewöhnliche oder neue Vorgehensweise. In der Sparte Sachversicherungen wurden Prozesse dieser Art schon vor der Jahrtausendwende praktiziert, ebenso bei Lebensversicherungen. Juristisch betrachtet ist jegliche Bestandsübertragung durch § 13 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) gedeckt, bei Übertragung eines gesamten Unternehmens finden die § 17 und 18 VAG Anwendung.

Vier verschiedene Modelle

Laut dem selbständigen Aktuar Bernd Heistermann lassen sich trotz vieler Varianten auf dem Markt vier unterschiedliche Modelle des Run-off herausfiltern. „Im ersten Modell wird nur ein Teil der Produktpalette geschlossen und abgewickelt, etwa Policen mit klassischer Garantieverzinsung. Gleichzeitig haben Kunden aber weiterhin Zugriff auf Fondspolicen oder Biometrieprodukte, wie Risikolebensversicherungen.“ Eine ganze Reihe von Gesellschaften haben diesen Weg bereits bestritten, dabei wurden immer wieder ganze Produktlinien oder einzelne Tarife eingestellt und abgewickelt.

„Das zweite Modell, das am Markt beobachtet werden kann, unterscheidet sich vom ersten dahingehend, dass die gesamte Lebensversicherungsgesellschaft für den Neuzugang geschlossen ist“, erklärt Heistermann. Wird jedoch weiterhin Neugeschäft vermittelt, dann in einer anderen Konzerntochter ohne Belastungen durch Altbestände. Diesen Weg bestritt beispielsweise die Generali Deutschland im Jahr 2015. Dabei schloss man das Neugeschäft für klassische Lebensversicherungen im Bereich Privatkunden und bot aber nach wie vor in der betrieblichen Altersvorsorge Garantieprodukte an. Biometrieprodukte, wie etwa Berufsunfähigkeitsversicherungen, werden über die Tochter Dialog vertrieben, sowie Lebensversicherungen weiterhin über die AachenMünchener.

Bei der dritten Variante geht die Gesellschaft noch einen Schritt weiter – hier wird das Lebensgeschäft im ganzen Konzern geschlossen. Für Heistermann gibt es dazu keinen aktuellen Fall. „Allerdings könnte man die Arag Leben in der Phase nennen, in der sie das Neugeschäft eingestellt hatte, aber noch nicht auf die Frankfurter Leben übertragen worden war.“

Das vierte Modell wird aktuell kontrovers in den Medien diskutiert. Dabei geht der Bestand oder sogar die komplette Gesellschaft auf einen externen Dritten über, der sich um die Abwicklung kümmert. In Frage kommt bei diesem Vorgang entweder ein anderer Versicherer oder eine spezialisierte Plattform, wie Viridium (ehemals Heidelberger Leben) oder Frankfurter Leben. Gleichermaßen übernahm bereits der Versicherer Mylife Bestände und als weiterer Player sei die Athene Lebensversicherung genannt.

Variante vier wird wahrscheinlicher

In den vergangen Jahren erfolgte lediglich die Run-off Variante eins und zwei. Vermehrt erwägen Gesellschaften nun das Modell vier. Die Hemmschwelle für einen Run-off hat sich spürbar gesenkt, so Markus Eschbach, Vorstandsmitglied von Viridium. „Alle Versicherer überlegen, ob sie das Lebensgeschäft weiterführen wollen. Ein externer Run-off ist inzwischen eine ernsthafte Handlungsoption, naturgemäß aber nicht für jedes Unternehmen – viele Faktoren spielen eine Rolle“, ergänzt Eschbach.

Nullzinspolitik der EZB bereitet große Probleme

Die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) bereitet den Versicherern große Probleme. Es ist für sie schwierig geworden, die Gewinne zu erwirtschaften, die sie in Hochzinszeiten ihren Kunden garantiert haben. Mit Rentenpapieren von Schuldnern erstklassiger Bonität gibt es weniger als ein Prozent Rendite, den Versicherten wurde jedoch in den Jahren 1996 bis 2000 eine Verzinsung von vier Prozent zugesagt. Soweit erlaubt, wird demzufolge in riskantere Anlageformen investiert. Allerdings schreibt die EU-Richtlinie Solvency II für derartige Investments hohe Eigenmittel vor. Zudem zwingt die seit 2011 geltende Zinszusatzreserve (ZZR) die Gesellschaften zur Rückstellung von Kapital für hoch verzinste Altverträge.

Weitere Gründe für Run-off

Es ist also durchaus nachvollziehbar, warum sich diverse Anbieter von ihren Beständen trennen wollen. Darüber hinaus gibt es weitere Gründe dafür, etwa die Digitalisierung: „Der Aufwand, die alten IT-Systeme an die Anforderungen der zunehmend digital kommunizierenden Kundschaft anzupassen, wäre enorm“, erklärt Heistermann. Eine Trennung vom Bestand ist für den Versicherer auch deshalb von Vorteil. Weitere Ursachen für diesen Schritt ergeben sich aus dem Wunsch nach einem einheitlichen Marktauftritt oder zu hohe Kosten für die Verwaltung. „Wenn ein Versicherer etwa wegen hoher Vertriebskosten kein profitables Neugeschäft mehr zeichnen kann, kann ein Run-off des Bestandes ein Ausweg sein“, so Michael Klüttgens, Leiter der Versicherungsberatung bei Willis Towers Watson in Deutschland.

Kritik von Verbraucherschützern

Verbraucherschützern sind die Übertragungen auf Dritte ein Dorn im Auge. Sie befürchten eine Schlechterstellung der Kunden, vor allem bezüglich der Überschüsse: „ Wenn ein Investor diese Bestände kauft, dann tut er das mit dem Ziel, möglichst viel Rendite zu erwirtschaften“, argumentiert Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des Bundes der Versicherten. „Das geht aber nur, wenn er den Versicherten möglichst viele Überschüsse vorenthält und in die eigene Tasche steckt.“ Ein weiterer Kritikpunkt ergibt sich aus dem Kundenservice, wie sieht es damit aus?  Die Plattformen sind bekanntermaßen nicht am Neugeschäft interessiert. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) betont allerdings, sie werde die Übertragungen genauestens prüfen, damit Kunden nicht schlechter gestellt werden.

Immenser Imageschaden

Die öffentliche Diskussion zum Thema Run-off ist dem Bild der Versicherer in der Bevölkerung abträglich. Auch einige Gesellschaften selbst sehen damit die Glaubwürdigkeit der Branche erschüttert: „Damit wird (…) das Kernversprechen unserer Branche, lebenslang für unsere Kunden da zu sein, einfach über Bord geworfen“, teilt der Vorstand der Bayerischen Versicherung in einem offenen Brief mit. Vielleicht besteht ja noch bei so manch einem Versicherer die Möglichkeit auf einem Strategiewechsel. Die Generali Deutschland beispielsweise nimmt den immensen Imageschaden sehr ernst und hat verkündet, dass nun doch eine interne Lösung angestrebt werde.

Was tun?

Besitzen Sie eine langlaufende klassische Kapitallebens- oder Rentenversicherung, die der dringend notwendigen Altersvorsorge dienen soll? Dann schauen Sie sich die jährliche Wertermittlung ihrer Police genau an, sie werden dabei feststellen, dass die geplante Ablaufleistung zunehmend geringer ausfällt. Aussicht auf Besserung ist nicht in Sicht, da die Nullzinspolitik der EZB weiter andauern wird. Nun erfahren Sie auch noch, dass der Versicherer ihren Vertrag loswerden möchte. Sind Sie sicher, dies ist die richtige Anlage für Sie?

 

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